Rente

Die gesetzliche Rentenversicherung befindet sich in einer Krise, deren Folgen Deutschlands politische Handlungsfähigkeit bereits heute empfindlich einschränken. Jahrzehntelanger Reformunwillen und die demografische Entwicklung sorgen dafür, dass sich diese Situation in Zukunft weiter verschärfen wird.

Kamen 1950 noch sechs Erwerbstätige auf eine Person, die Rente bezieht, sind es heute nur noch drei. Unser umlagefinanziertes Rentensystem gerät ins Wanken. Bereits heute zahlen Arbeitnehmer_innen 18,6 Prozent ihres Bruttolohns bis zur Beitragsbemessungsgrenze, zur Hälfte über den Arbeitgeber, in die Rentenversicherung ein. Fast jeder vierte Euro, der den Bundeshaushalt verlässt, geht zusätzlich an die Rentenversicherung. Sowohl die Beiträge als auch die Zuschüsse aus Steuergeld steigen durch immer höhere Kosten und mehr Leistungsempfänger_innen absehbar weiter. In den kommenden Jahren werden besonders geburtenstarke Jahrgänge das Rentenalter erreichen, während immer weniger junge Menschen den Arbeitsmarkt betreten. Es werden also weiterhin fallende Einnahmen steigenden Kosten gegenüberstehen, insbesondere, da die Lebenserwartung weiter steigt.

Gleichzeitig leben viele ältere Menschen, die ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben, unter der Armutsgrenze. In einem so wohlhabenden Land wie Deutschland sind alte Menschen darauf angewiesen, Mülltonnen nach Pfandflaschen zu durchsuchen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Das ist ein Ausdruck eines schwerwiegenden Mangels an Respekt vor Menschen, die unser Land aufgebaut haben.

Um diese Situation zu beenden und um zu verhindern, dass erdrückende Kosten Generationengerechtigkeit und die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung auf unbestimmte Zeit sabotieren, plädieren wir Liberale Demokraten für eine grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung.

I. Ein Ruhestand in Würde, für alle bezahlbar: Sozialliberales Rentenmodell

Umlagefinanzierte Grundrente

Wir beabsichtigen das derzeit existierende umlagefinanzierte Rentensystem grundlegend umzugestalten. Es soll langfristig auf die Finanzierung einer echten Grundrente beschränkt werden. Das bedeutet, dass jede Person, die in Deutschland lebt, mit Erreichen des Renteneintrittsalters oder nach einer ausreichenden Anzahl an Beitragsjahren einen Betrag erhält, der dauerhaft ein Leben in Würde und über dem Existenzminimum sichert.

Der Anspruch auf die Grundrente soll sich anteilig pro Jahr geleisteter Erwerbs- oder Care-Arbeit bis zum Erhalt der vollen Rente aufbauen. Das schafft die nötige Flexibilität für Menschen, die einen Teil ihres Arbeitslebens im Ausland verbracht haben. Außerdem muss sichergestellt werden, dass ein zeitweises unverschuldetes Ausscheiden aus dem Beruf nicht zu Armut im Alter führt.

Die Grundrentenbeiträge sollen progressiv mit dem Einkommen steigen. Die Höhe der erhaltenen Leistung ist dabei unabhängig vom eingezahlten Betrag, wobei eine Beitragsbemessungsgrenze in angemessener Höhe beibehalten werden soll.

Darüberhinausgehende Leistungen, die dazu dienen, den persönlichen Lebensstandard auch nach Verlassen des Berufs zu erhalten, sollen in Zukunft auf mehrere starke Säulen kapitalgedeckter Vorsorge gestellt werden. Unser Modell orientiert sich dabei an dem der Niederlande, welches als eines der besten Rentensysteme der Welt gilt.

 

Staatlicher Rentenfonds

Kernelement unserer sozialliberalen Rentenreform ist die Schaffung eines starken Rentenfonds, in den alle Arbeitnehmer_innen einen einkommensabhängigen Mindestbeitrag einzahlen und der auch Selbstständigen offensteht. Aus dessen Renditen werden Rentenleistungen, die über die Grundrente hinausgehen, finanziert. Damit wird sichergestellt, dass die Menschen in Deutschland weiterhin Renten erhalten, die ihnen erlauben, ihren Lebensstandard im Alter zu erhalten.

Über die Mittel des Fonds darf die Politik nicht verfügen, über seine Investitionen soll deshalb ein unabhängiges Gremium entscheiden. Er soll jedoch in seinem Handeln an ökologische und humanitäre Vorgaben gebunden sein. Das Vorbild Norwegens zeigt, was für eine wichtige Rolle die Finanzkraft eines solchen Fonds auch für die wirtschaftliche Situation unseres Landes spielen könnte.

 

Private Vorsorge

Die dritte Säule unseres Rentensystems bildet die private Vorsorge, deren Rolle wir stärken wollen. Sie soll aber eben das bleiben: Eine private Entscheidung in privater Verantwortung. Maßgebend hierfür ist von politischer Seite finanzielle Bildung von klein auf, um die notwendige Sensibilisierung für das Thema zu erreichen. Außerdem sollen Anreize für Menschen gesetzt werden, die für das Alter etwas zurücklegen, etwa durch einen höheren, automatisch inflationsausgeglichenen Sparerpauschbetrag.

 

Inflationsausgleich

Sinn der Grundrente ist es, ein Leben in Würde zu gewährleisten. Ihre Höhe muss also zwangsläufig mit der Inflation steigen, um das Erreichen dieses Ziels auch bis in die Zukunft zu garantieren. Statt Rentenerhöhungen zu einem „Wahlgeschenk“ der Politik zu machen, soll die Höhe der Rente durch feste Indikatoren bestimmt sein und automatisch der Inflationsrate angepasst werden.

Bis zum vollständigen Wechsel auf unser sozialliberales Rentensystem werden auch Inflationsanpassungen an der heutigen gesetzlichen Rentenversicherung nötig werden. Um die Finanzierbarkeit der Rente zu gewährleisten und die soziale Gerechtigkeit zu stärken, wollen wir dabei von den bisherigen generellen Erhöhungen Abschied nehmen.

Statt Menschen mit geringen Renten nur „einige Prozent von fast nichts“ auf ihr „fast nichts“ zu schlagen, wollen wir diese zielgenau erhöhen und anschließend mit der gleichen automatischen Regelung wie die neue Grundrente steigen lassen. Hohe Renten sollen dagegen geringere Inflationsanpassungen als bisher erfahren, um die Finanzierung in der Übergangsphase zu ermöglichen.

 

Anstieg des Renteneintrittsalters

Das Renteneintrittsalter ist eine unpopuläre, von der Politik weitgehend gemiedene Kennzahl. Das verkennt, dass die Lebenserwartung seit Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung erheblich gestiegen ist. Projektionen zeigen, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.

Wir Liberale Demokraten gehen deshalb das Risiko der Ehrlichkeit in der Politik ein und bekennen: Eine Rente ohne steigendes Renteneintrittsalter ist mit weniger Arbeitnehmer_innen und mit höherer Lebenserwartung unfinanzierbar.

Vor jeder Erhöhung des Renteneintrittsalters ist es jedoch unabdingbar, Lösungen für Menschen in Berufen zu schaffen, in denen körperliche oder psychische Belastungen einen Verbleib in der ursprünglichen Tätigkeit unmöglich machen. Das kann etwa im Handwerk bedeuten, Ausbildung für Anschlussbeschäftigungen außerhalb der Baustelle oder Werkstatt zu fördern oder auch bedarfsgerecht frühere Renteneintritte ohne Reduzierung der Rentenbezüge zu ermöglichen. Insbesondere soll der Anspruch auf die Grundrente nicht nur vom Alter, sondern auch von den Beitragsjahren abhängen.

Sobald dies sichergestellt ist, halten wir es für nötig, eine schrittweise Anpassung des Renteneintrittsalters an die demografische Realität durchzuführen.

 

Anerkennung von Care-Arbeit

Zur Bestimmung des Rentenanspruchs soll nicht nur klassische Erwerbstätigkeit einbezogen werden, sondern etwa auch Care-Arbeit. Wer Kinder großzieht oder Angehörige pflegt, darf dabei nicht seine Chance auf ein gutes Leben im Ruhestand verwirken. Wir wollen Regelungen schaffen, damit bei Ausübung von Care-Arbeit Ansprüche auf Grundrente entstehen und bei denen der Staat Einzahlungen in den Rentenfonds vornimmt, damit auch hier weiterhin Ansprüche erworben werden.

Die hierdurch entstehende Verbesserung der Situation speziell von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und wirtschaftliche Entlastung für Menschen mit Kindern führt zudem dazu, dass die Rentenkasse selbst langfristig durch mehr Kinder, die einzahlende Bürger_innen werden, entlastet wird.

 

Arbeiten im Alter

Der Staat sollte Menschen, die auch über das Renteneintrittsalter hinaus in der Lage und Willens sind, zu arbeiten, unterstützen und ihnen keine Steine in den Weg legen. Insbesondere erlaubt die Flexibilität unseres staatlichen Rentenfonds es, auch jetzt noch weitere Bezüge aufzubauen, während die Bezüge in ihrer aktuellen Höhe bereits in Anspruch genommen werden.

 II. Umstellung des Rentensystems

Ein so kostenintensives System wie die Rentenversicherung kann nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Deshalb ist ein stufenweiser Anpassungsprozess nötig. Unser Ziel ist, alle Menschen, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, direkt in unser dreiteiliges Rentenmodell einsteigen zu lassen, sodass diese sich als Teil des Rentenfonds eine staatlich abgesicherte, höhere Rente als bisher absehbar erarbeiten können.

Für Menschen, die zum Zeitpunkt der Reform bereits berufstätig sind, sollen die schon erworbenen Rentenpunkte über die bisherige gesetzliche Rentenversicherung vergütet werden, während zukünftige Ansprüche über den Rentenfonds aufgebaut werden. Niemand steht hierbei am Ende schlechter da, als es bei Beibehalten des bisherigen Systems der Fall gewesen wäre.

Eine Basis für den Rentenfonds, die dessen Anwachsen beschleunigt, kann der Verkauf der Anteile des Bundes an privaten Unternehmen sein. Je mehr Geld im Rentenfonds vorhanden ist, desto früher ist es möglich, die gesetzliche Rentenversicherung über seine Renditen zu entlasten.

Es ist offensichtlich, dass beim Aufbau des Rentenfonds zusätzliche Kosten entstehen, da hierfür Geld zunächst zurückgelegt werden muss, während an anderer Stelle weiterhin umlagefinanzierte Renten ausgezahlt werden. Da eine solche Reform jedoch unabdingbar ist, um ein langfristig funktionsfähiges Rentensystem zu erhalten, müssen wir diese Kosten in Kauf nehmen, statt weiter auf Verschleiß zu fahren. Die Mehrkosten soll nicht den Arbeitnehmer_innen in gleicher Höhe in Form erhöhter Rentenversicherungsbeiträge auferlegt werden. Stattdessen sollen diese in das neue System einzahlen, also in die Grundrente und den Rentenfonds.

Die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle in der gesetzlichen Rentenversicherung sollen aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen werden. Wenn nötig, muss für diese ambitionierte Reform parallel zur ursprünglichen Funktionsweise des Solidaritätszuschlages ein zweckgebundener Rentenstabilisierungszuschlag geschaffen werden. Dieser würde keine dauerhafte Steuererhöhung darstellen, sondern wäre eine zeitweise nötige Aufwendung zur Behebung der grundlegenden Fehler unseres Rentensystems, die ohne solche Mehrausgaben dramatische Folgen für unser Sozialwesen entwickeln würden.

Ohne eine grundlegende Reform, wie wir sie vorschlagen, müssten mit Blick auf die demografischen Entwicklungen Rentenversicherungsbeiträge und Renteneintrittsalter steigen und zeitgleich Rentenbezüge sinken. Diese mathematischen Realitäten können auch leere politische Beteuerungen wie „Die Rente ist sicher“ nicht ändern. Sie zu ignorieren und zu leugnen ist der politisch einfachere und vielleicht auch erfolgversprechendere Weg. Es ist allerdings auch ein Weg, der uns in gesellschaftliche Spaltung und eine tiefgreifende finanzpolitische Krise führt.