Wie die Trump-Regierung die liberale Wissenschaft in den USA entkernt und was Europa daraus lernen sollte
Seit Donald Trump erneut ins Weiße Haus eingezogen ist, zeigt sich mit erschreckender Klarheit, dass sein Politikstil nicht nur disruptiv geblieben ist – er hat sich zugespitzt, ideologisiert und verhärtet. Was in seiner ersten Amtszeit bereits für Unruhe sorgte, ist nun zur Strategie geworden: außenpolitisch, handelspolitisch – und in einem Maße, das zu Recht beunruhigt – auch wissenschafts- und bildungspolitisch. Lehrpläne werden überprüft, Forschungsinhalte verdächtigt, Universitäten politisch unter Druck gesetzt. Wie schon in seiner ersten Amtszeit gilt: Wer an diesem Stil Zweifel äußert, wird nicht als vorsichtig oder differenziert wahrgenommen, sondern als illoyal. Zweifel – oder gar Selbstzweifel – scheinen ein Luxus zu sein, den sich Donald Trump nicht gönnt.
Die gezielten Angriffe auf wissenschaftliche Institutionen erfolgen unter dem Deckmantel vermeintlicher „Effizienzsteigerung“. Das eigens geschaffene „Department of Government Efficiency“ (DOGE), unter der Leitung von Tech-Milliardär Elon Musk, hat eine beispiellose Welle von Budgetkürzungen eingeleitet. Renommierte Einrichtungen wie die National Institutes of Health (NIH)¹, die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA)² und die National Aeronautics and Space Administration (NASA)³ – einst Stolz der US-amerikanischen Forschungs- und Wissenschaftskultur – werden systematisch geschwächt, indem Budgets eingefroren und Forschungsprogramme gestrichen werden. Für viele Wissenschaftler:innen bedeutet das ganz konkret: Sie kommen morgens ins Büro oder Labor und erfahren, dass sie ihre Stelle verloren haben.
Die Botschaft von DOGE ist klar: Nur Forschung, die unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen verspricht, wird noch gefördert. Doch diese kurzsichtige Strategie ignoriert, dass Grundlagenforschung oft die Basis für bahnbrechende Innovationen bildet – Innovationen, von denen gerade die großen amerikanischen Tech-Konzerne über Jahrzehnte profitiert haben. Die Kürzungen sind dabei nicht bloß Sparpolitik, sondern ein Mittel, politischen Druck auszuüben: direkt und unter Umgehung demokratischer Verfahren.
Noch gravierender jedoch ist die ideologische Umformung, die das wissenschaftliche Feld in den USA derzeit durchläuft. Forschungsvorhaben, die sich mit Diversität, Gleichstellung und Inklusion befassen – oder auch nur entsprechende Standards bei ihrer Planung berücksichtigen – werden radikal zusammengestrichen. Sie gelten zunehmend als „woke“: ein Begriff, den reaktionäre Kräfte wie ein Warnschild auf alles kleben, das ihnen nicht ins Weltbild passt. Er dient nicht der Auseinandersetzung, sondern der Ausgrenzung. Wer als „woke“ gilt, muss nicht mehr ernst genommen, sondern darf offen diffamiert werden. Und oft reicht dieses Stigma schon aus, um Förderlinien zu kippen, Lehrpläne zu verbieten oder Professor:innen gezielt unter Druck zu setzen.⁴ Die Grenze zur Zensur ist dabei längst überschritten.
In diesem Zusammenhang verwundert es dann auch nicht mehr, dass Universitäten mit massiven Mittelkürzungen bedroht werden, um sie politisch gefügig zu machen. So entzog die Trump-Regierung der Columbia University 400 Millionen Dollar an staatlichen Zuwendungen – offiziell wegen angeblicher antisemitischer Vorfälle auf dem Campus. Der finanzielle Druck zeigte Wirkung: Die Universität beugte sich dem politischen Diktat und leitete Maßnahmen ein, die den Forderungen der Regierung entsprachen. Besonders im Fokus stand das Institut für Middle Eastern, South Asian, and African Studies (MESAAS), dem auf Druck der Regierung die Selbstverwaltung entzogen werden sollte. Die Columbia kündigte an, einen neuen Administrator zu ernennen, der die Führungsstruktur von MESAAS überprüfen und dafür sorgen solle, dass deren Programme „ausgewogen“ seien. Damit wurde dem Institut nicht nur das Vertrauen entzogen, sondern die Kontrolle über zentrale akademische Inhalte einer externen Instanz übergeben – ein beispielloser Eingriff in die wissenschaftliche Selbstbestimmung.
Solche Eingriffe untergraben nicht nur die akademische Selbstverwaltung, sie schaffen auch einen gefährlichen Präzedenzfall für staatliche Einflussnahme auf Forschung und Lehre. Denn hier geht es längst nicht mehr um den Schutz von Minderheiten – es geht um die Disziplinierung ganzer Institutionen. Die Botschaft ist unmissverständlich: Nur wer sich dem politischen Kurs der Regierung fügt, darf mit öffentlicher Förderung rechnen. Wer hingegen für kritisches Denken und Perspektivenvielfalt in der Wissenschaft eintritt, dem wird unterstellt, Staatsmittel für ideologische Propaganda zu missbrauchen.
Diese Entwicklungen sollten uns in Europa eine deutliche Warnung sein. Die Vorstellung, dass Wissenschaft und Bildung unantastbar seien, ist eine Illusion – vor allem dann, wenn autoritäre Kräfte beginnen, Einfluss auf öffentliche Diskurse zu nehmen. Wer so regiert, hat ein ureigenes Interesse daran, Denk- und Diskussionsräume zu verengen, Begriffe umzudeuten und Zweifel zu delegitimieren.
Doch Wissenschaft lebt im Wesentlichen vom Zweifel. Sie fragt, wo andere glauben. Sie korrigiert sich selbst, statt sich auf ewig festzulegen. Und damit ist sie für Autokraten gefährlich – nicht, weil sie per se politisch ist, sondern weil sie Unwägbarkeiten sichtbar macht. Je stärker reaktionäre Kräfte auch bei uns an Einfluss gewinnen, desto realer wird die Gefahr, dass sie dem Beispiel der aktuellen US-Regierung folgen – nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer demonstrativen Wissenschaftsfeindlichkeit.
Wir dürfen nicht vergessen: Der Wissenschaftsbetrieb ist eine kulturelle Errungenschaft – keine Selbstverständlichkeit. Wenn eine Gesellschaft Freiheitsgrade verliert, dann wird zuerst an der Wissenschaft (und der Kunst) gespart, gestrichen und vereinfacht. Das ist kein Zufall, sondern ein Muster: Denn dort, wo frei gedacht, geforscht und experimentiert wird, entsteht Widerspruch – und der ist autoritären Logiken ein Dorn im Auge. Oft gehen solche Kürzungen mit einer ideologischen Rahmung einher, die das Anti-Intellektuelle feiert und komplexe Debatten als Bedrohung inszeniert. Begriffe wie „Woke Science“, „Genderwahn“ oder „Klimahysterie“ sind mittlerweile bekannte Schlagworte – nicht, weil sie etwas beschreiben, sondern weil sie delegitimieren sollen. Doch Erkenntnis ist kein Meinungsprodukt. Fortschritt entsteht nicht durch Uniformität, sondern durch Auseinandersetzung. Und er beginnt immer dort, wo jemand wagt, zu zweifeln: im Dialog, im Dissens, in der Vielfalt der Perspektiven.
Daher ist Haltung gefragt. Wer sich nicht äußert und auf vermeintliche Neutralität hofft, ist nicht geschützt – weder vor Entlassung noch vor der Streichung von Geldern. Und je lauter das Schweigen ist, desto größer wird der Raum für wissenschaftsfeindliche Narrative. Daraus folgt: Wer nichts sagt, stimmt zu.
Der Glaube, Wissenschaft müsse unpolitisch sein, ist weit verbreitet – aber er ist ein Irrglaube. Was unpolitisch sein muss, ist die wissenschaftliche Methode: objektiv, nachvollziehbar und kritisch. Doch das heißt nicht, dass die Menschen, die sie anwenden, sich aus gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraushalten sollten. Im Gegenteil: Gerade weil Wissenschaft ein offenes, fragendes System ist, braucht sie Menschen, die es verteidigen – öffentlich, streitbar und mit Haltung. Denn wenn sich Wissenschaft aus der Gesellschaft zurückzieht, verliert sie ihre Relevanz – gesellschaftlich wie institutionell.
Deshalb: Engagiert euch! Positioniert euch! Nutzt eure Stimmen, eure Reichweite, eure Netzwerke – für eine Gesellschaft, die auch morgen noch eine freie, kritische und widerständige Forschung ermöglicht. Eine Wissenschaft, die unbequem sein darf, weil sie zweifelt. Denn die Freiheit, an Sachverhalten zu zweifeln, sie zu hinterfragen, sie neu zu denken – das ist keine Schwäche, sondern die eigentliche Stärke der Wissenschaft. Sie beginnt dort, wo Dogmen enden. In Trumps Amerika ist der Zweifel unerwünscht, ja gefährlich – und das ist kein Zufall. Denn wer nicht zweifeln darf, darf auch nicht denken. Und wer nicht denkt, stellt keine Fragen. Zweifel ist ein Luxus, ja – aber er ist kein elitärer. Er ist ein demokratischer. Und es liegt an uns allen, ihn zu verteidigen.
Quellen
- Kaiser, J. (2025). NIH under orders to cancel $2.6 billion in contracts. Science. Online. https://www.science.org/content/article/nih-under-orders-cancel-2-6-billion-contracts
- Freimann, J. & Wholf, T. J. (2025). Hundreds of NOAA employees laid off in latest cuts to federal workforce. CBS News. Online: https://www.cbsnews.com/news/noaa-layoffs-trump-musk-doge/
- Sainato, M. (2025). Nasa cuts raise fears of handing more influence to SpaceX owner Musk. The Guardian. Online: https://www.theguardian.com/science/2025/mar/18/nasa-cuts-elon-musk-spacex
- Carballo, R. & Perez, J. Jr. (2025). DOGE announces $881 million in cuts for Education Department contracts. Politico. Online: https://www.politico.com/news/2025/02/10/education-department-pauses-research-contracts-00203494
- Ax, J. & Allen, J. (2025). Columbia University agrees to some Trump demands in attempt to restore funding. Reuters. Online: https://www.reuters.com/world/us/columbia-research-takes-immediate-hit-trump-funding-cuts-2025-03-21