Ein Grundeinkommen fühlt sich falsch an – warum es trotzdem richtig ist

Von Paul Vossiek

Meine Haltung dürfte für den Vorsitzenden einer Partei, die die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens seit Jahrzehnten als eine ihrer wichtigsten Forderungen anführt, erstaunlich sein. Dennoch habe ich mich mit dem Konzept des BGE immer sehr schwergetan. Meinem Gerechtigkeitsempfinden geht es noch immer grundsätzlich zuwider, dass Menschen anlasslos dauerhaft auf Kosten der Allgemeinheit leben können sollen.

Mit meiner Grundskepsis gegenüber diesem Modell bin ich sicher nicht allein. Schon gegen das weiterhin sanktionsbewehrte Bürgergeld der Ampelregierung werden seit Monaten totalverweigernde Strohmänner und andere, berechtigtere Einwände angeführt. In dieser Debatte wird insgesamt einiges zusammengeworfen, was im Sinne eines vollständigen Verständnisses getrennt gehört. Deshalb möchte ich in diesem Beitrag versuchen herauszuarbeiten, warum ich emotional das Modell Grundeinkommen kaum mit meinem Gerechtigkeitsempfinden vereinbaren kann, aber dennoch rational für dessen Einführung einstehe.

Meine emotionale Ablehnung möchte ich zunächst etwas genauer erläutern. Es war immer mein Begriff von Gerechtigkeit, dass sich mit höherer Leistung auch eine höhere Bezahlung einstellen müsste. Auch das marktwirtschaftliche Prinzip habe ich dabei verinnerlicht: Mein Tun muss nicht nur aufwendig sein, um angemessene Bezahlung zu erfahren, sondern muss auch von den Menschen um mich herum – also von den Marktteilnehmern – gefragt sein. Zielsicher ist dieses Prinzip offensichtlich nicht immer, wenn man auf dringend benötigte, aber unzureichend bezahlte Berufe im sozialen Sektor schaut. Dennoch ist es mit all seinen Mängeln durchaus gut begründet. Ein Recht auf staatlich finanzierte Selbstverwirklichung liegt mir fern. Damit alle für die Finanzierung einer Tätigkeit aufkommen, sollten sie zunächst einmal ein Interesse daran haben, dass diese Tätigkeit überhaupt ausgeführt wird.

Im Gespräch mit anderen begegnen mir neben diesen eher abstrakten Überlegungen auch oft konkretere Einzelbeispiele. Insbesondere „Totalverweigerer“, wie sie in einigen zweifelhaften Medien dauerpräsent gezeigt werden, verletzen das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. Es entsteht der Eindruck, der Staat würde einen signifikanten Teil des eigenen, erarbeiteten Einkommens umleiten, um andere Menschen fürs „Faulenzen“ zu bezahlen. Bei beiden Betrachtungsweisen kann der Umstieg auf ein Grundeinkommen, das gänzlich ohne Bedarfsprüfung auskommt, nicht besonders attraktiv wirken. Es ist leicht zu vermuten, dass es dazu führen würde, dass mehr Menschen sich zurücklehnen würden.

Dass seine Einführung dennoch der richtige Ansatz ist, benötigt deshalb eine ausführlichere Erklärung. In meiner Wahrnehmung verweigern Befürworter eines BGE gerade diese aber regelmäßig, weil sie in ihrer eigenen Überzeugung von der Überlegenheit ihres Modells die Ablehnung von Außenstehenden als menschenfeindlich und rückwärtsgewandt abtun und die Meinungsverschiedenheit für undiskutierbar und unauflösbar erklären. Meine ablehnende Grundhaltung konnte sich nur dadurch auflösen, dass ich mit den Mitgliedern meiner Partei offen ins Gespräch hierüber kommen konnte.

Entscheidend ist zunächst einmal ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Menschen sich heute in der Grundsicherung befindet. 2023 war es etwa so, dass von 5,5 Millionen Bürgergeld beziehenden Personen 1,6 Millionen nicht erwerbsfähig waren, weil sie etwa zu jung oder zu krank zum Arbeiten waren.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass 47 % der Bürgergelderhaltenden keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Was gerne spalterisch zum Symptom der „faulen Ausländer“ verklärt wird, begründet sich in Wahrheit durch mehrere Faktoren. Menschen fliehen aus teils traumatischen Verhältnissen und sind bei einer herausfordernden Ankunft in einem neuen Land nicht sofort in der Lage, voll ins Berufsleben einzusteigen. Statistiken des Instituts für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung zeigen, dass mit der Aufenthaltsdauer auch die Teilnahmequote am Arbeitsmarkt deutlich ansteigt. Weiterhin werden geflüchtete oft insbesondere in Regionen untergebracht, in der hohe Arbeitslosigkeit und geringe Jobchancen herrschen. So verlängert sich der Aufenthalt im Bürgergeldbezug.

Es ist eine wesentliche Erkenntnis, dass die allermeisten Menschen, die heute Bürgergeld beziehen, das entweder nur übergangsweise oder durch Faktoren bestimmt tun, auf die sie keinen Einfluss haben. Gerade deshalb ist das Herumhacken auf einigen wenigen, sicher realen, Negativbeispielen so schädlich. Es greift zwangsläufig auch die Menschen an, die sich vollkommen unverschuldet in dieser Lage wiederfinden. Diesen Kollateralschaden zulasten von Menschen, die sich zumeist ohnehin an einem Tiefpunkt ihres Lebens befinden, für politische Popularität hinzunehmen, spricht Bände über den Charakter derer, die sich zu einer solchen Darstellung herablassen.

Damit dürfte nun ausführlich dargelegt sein, weshalb es eine Grundsicherung braucht. Dass diese aber allgemeingültig sein müsse, lässt sich so noch nicht begründen. Es scheint naheliegend, die Leistung auf die eben beschriebenen Menschen zu beschränken. Auf jene also, die unsere Hilfe „verdienen“. Hier treffen emotionales Gerechtigkeitsempfinden und politische Realität aufeinander. Denn jede Bedarfsüberprüfung – und die muss je genauer sein, desto trennschärfer Not von Arbeitsverweigerung unterschieden werden soll – ist ein Verwaltungsakt und damit ein bürokratischer Vorgang.

Es empfiehlt sich wieder ein Blick auf die Zahlen: Von den 43,8 Milliarden Euro Gesamtkosten der Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch entfallen 5,05 Milliarden Euro auf die Verwaltung. Um hier ein Verständnis für die Größenordnung herzustellen: Allein das wären gut 420.000 Personen, denen ein monatliches BGE von 1000 € ausgezahlt werden könnte. Selbstredend wäre diese Zahl noch einmal deutlich höher, wenn die Überprüfungen tatsächlich so zielgenau – und damit kostspielig – wären, dass sie dem Gerechtigkeitsempfinden der breiten Bevölkerung entsprächen.

Bürokratie ist allerdings nicht nur ein finanzieller Aufwand für den Staat, sondern auch eine Belastung für die Bürger_innen. Jede zusätzliche Überprüfung stellt Arbeitsaufwand für Personen dar, die wahlweise arbeitsunfähig oder arbeitssuchend sind und sich gerade deshalb in der Grundsicherung befinden. Sich mit der staatlichen Bürokratie, statt mit der Verbesserung der eigenen Situation beschäftigen zu müssen, ist ein grundsätzlicher Fehlanreiz.

So ungerecht es sich anfühlen mag: Es kostet uns absehbar weniger, einige völlig unverdiente Grundeinkommen auszuzahlen, als hunderttausende verdiente Bezüge bis ins letzte Detail zu überprüfen. Wir Liberale Demokraten haben hierfür in unserem Programm einen besonders schlanken Mechanismus vorgesehen: Das Grundeinkommen soll an alle Bürger_innen in gleicher Höhe ausgezahlt werden, bei ausreichenden Einkommen aber durch eine angepasste Steuerkurve wieder eingesammelt werden. Was zunächst umwegig klingt, hat einen entscheidenden Vorteil: Mit aufgenommener Arbeit ist die Verwaltung für das Grundeinkommen mit der Steuer gleich miterledigt. Es braucht keine Anträge, keine Meldungen und keine Amtsbesuche.

Ich teile also nicht den Traum einiger BGE-Verfechter, die Arbeitswelt und das gesellschaftliche Zusammenleben durch ein BGE gänzlich neu zu ordnen. Stattdessen halte ich an dem Ziel fest, dass sich möglichst alle Menschen produktive, sinnstiftende Arbeit leisten sollten, die ihnen nach den Gesetzen des Marktes ihren Lebensunterhalt finanzieren kann. Ich erkenne aber an, dass das Grundeinkommen eine bürokratiearme, günstigere und sozial gerechtere Lösung ist, als unser aktuelles sanktions- und verwaltungsbewehrtes Grundsicherungssystem.

Seine Einführung ist zudem trotz allen Erklärungsbedarfs die richtige Antwort auf die Umbrüche, die uns auf dem Arbeitsmarkt erwarten werden. Es werden absehbar mehr Menschen zeitweise ohne Beruf dastehen, da alte Industriezweige automatisiert werden und neue Berufe höhere oder schlicht andere Qualifikationen erfordern. Das Grundeinkommen ermöglicht, den nötigen finanziellen Freiraum für lebenslanges Lernen zu schaffen.

Abschließend möchte ich noch einmal an die Anhänger eines BGE appellieren, sich die Zeit zu nehmen, es besser zu erklären. Es besteht keinerlei Hoffnung auf eine Einführung eines solchen Modells, wenn wir uns nicht mit den vollkommen verständlichen Vorbehalten der Menschen auseinandersetzen.

Schlagwörter: BGE | Bürgergeld | Soziales

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