Rede: „Ohne Zumutungen ist keine Krise zu bewältigen“

Von Paul Vossiek

Liebe Freundinnen und Freunde, Liebe Mitglieder, Liebe Gäste,

leicht gehabt haben wir es mit diesem Parteitag sicher nicht, es war für viele von uns schwer genug, überhaupt nach Hannover zu kommen. Deshalb möchte ich euch – und meiner angeschlagenen Stimme – jetzt auch ein überlanges politisches Referat des Vorsitzenden ersparen.

Uns ist allen bewusst, in was für herausfordernden Zeiten wir leben. Rechtsextremisten bedrohen unsere Demokratie, der jahrelange Stillstand im Land bedroht unseren Wohlstand, der Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen. Wir befinden uns in einer politischen Situation, in der die vorherrschenden Emotionen Enttäuschung, Sorge und sogar Wut sind.

Wir wissen auch, dass gerade diese Partei in der Lage ist, auf diese Probleme die richtigen Antworten zu geben. Antworten, die uns aus den Krisen hinausführen können. Deshalb stehen wir hier. Unsere Aufgabe ist allerdings nicht nur, nüchtern das Gute und das Richtige zu erdenken und aufzuschreiben, sondern den Menschen die Hoffnung darauf zurückzugeben, dass Verschlechterung nicht unabwendbar, dass Wandel möglich und dass morgen besser zu leben als heute realistisch ist.

Diese Hoffnung ist heute Mangelware. Die Krisen wirken zu überwältigend. Die alten schwelen weiter, während immer neue über die Welt hereinbrechen. Gerade wenn sich eine Situation zu verbessern scheint, findet sich die nächste Hiobsbotschaft in den Nachrichten. Coronakrise und Ukrainekrieg, Inflation und Wirtschaftskrise, rechtsextreme Wahlerfolge und Krieg im Nahen Osten folgen einander Schlag auf Schlag. Der Politikansatz von Angela Merkel und nun von Olaf Scholz, der sich als ihr noch unsichtbarer und etwas vergesslicherer Nachfolger im Geiste übt, war und ist es, die Geschehnisse der Welt von den Menschen wegzuhalten. „Mutti kümmert sich“. Dieser Ansatz hat schon in der Pandemie nicht mehr funktioniert. Seit der Bundestagswahl wurde dieser Anspruch („You’ll never walk alone“) so häufig und so offen betont wie nie zuvor. Und auch jetzt funktioniert er nicht.

Wir wollen die Entwicklungen der Welt nicht durch staatlichen Aktionismus verschleiern. Mein Verständnis einer liberalen Politik ist, den Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten, sie selbst zu erkennen, zu bewerten und ihnen entgegenzutreten. Die Rolle des Staates ist dabei, einen fairen Rahmen zu setzen und sich an die Seite der Bevölkerung zu stellen. Es ist auch mitnichten so, als wäre der Staat erfolgreich darin gewesen, diese Zumutungen von den Bürgerinnen und Bürgern fernzuhalten. Gerade durch die Behauptung, er würde oder er könnte das leisten, erodiert unsere Demokratie.

Ohne Zumutungen, ohne Anstrengungen, ist keine Krise zu bewältigen, ist nichts Neues auf den Weg zu bringen. Wir verkaufen keine Wunderheilung, keinen All-inclusive-Urlaub. Wir Liberale Demokraten verkaufen politische Realitäten, einen Haufen Tatendrang und das Wissen darum, wie es besser gehen würde.

Auch für uns Partiemitglieder geht das nicht ohne Zumutungen. Ich habe oft das Gefühl, andere politische Einstellungen, seien es sozialistische oder nationalistische, erwecken größere Aufopferungsbereitschaft als der Liberalismus. Es ist einfacher, sich mit Leib und Seele dem Kampf für Gleichheit oder für sein Vaterland zu verschreiben als dem für ein abstraktes, flüchtiges Konzept wie der Freiheit. Gerade deshalb bin ich stolz darauf, dass wir es trotzdem tun, dass wir trotzdem Stunden und Tage investieren, weil wir Alternativlosigkeit und Unfreiheit nicht hinnehmen wollen.

Statt „You’ll never walk alone“ wollen wir mit der Bevölkerung „How can we sleep when our beds are burning?“ singen. Wir fordern sie auf, sich zu engagieren, aktiv zu werden für die Veränderung, die nötig ist, um zu erhalten, was uns wichtig ist.

In dieser Hinsicht werden wir in Zukunft nicht weniger, sondern mehr gefragt sein. Wir werden uns noch mehr zumuten müssen, noch mehr Herzblut in einer Sache stecken, deren Ausgang ungewiss ist. Denn gerade deshalb haben wir eine Chance: Weil diese Partei kein halbherziger Karriereschritt ist, sondern eine Gruppe von Menschen mit tiefen Überzeugungen. Lasst uns gerade in dieser Zeit für diese Überzeugungen lauter kämpfen als je zuvor.

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