Beim Versuch, zu benennen, was Parteien voneinander unterscheidet, habe ich mich immer unwohl gefühlt. Ewige Haken in Wahlprüfsteinen, Vergleichstabellen zu Positionen und Onlinetests, die mir sagen sollen, welche am besten zu mir passt. Und doch bleibt alles abstrakt, ganz weit weg von einem selbst, der eigenen Lebensrealität und den eigenen Werten.
Noch unwohler fühle ich mich, wenn ich mit Freund_innen und Familie über Parteien reden soll. Über Wahlprogramme, zum Beispiel. An mich, den „selbst ernannten Politiker“ ist der Anspruch immer, alle Positionen und Programme parat zu haben und abrufen zu können. Und tatsächlich, viele kenne ich weitestgehend. Nur Folgendes zu sagen, fällt mir deshalb umso schwerer: Meistens glaube ich das, was darin steht, nicht.
Was erst einmal nach politikverdrossener Stammtischparole klingt, hat einen deutlich gemäßigteren Hintergrund: Ich kenne Parteien und Politik gut genug, um zu wissen, wie es zu Programmen kommt. Sicher, viele schlaue Köpfe schreiben sie und machen sich umfassende Gedanken zu Sinnhaftigkeit und Außenwirkung. Aber es bleiben tote Worte auf einem Blatt. Sie werden fast nie gelebt, sind mehr Argumentationsstütze als Absichtserklärung.
Das ist der Grund, weshalb ich aufgehört habe, Parteien in erster Linie anhand ihrer Programme zu bewerten. Mein erster Blick fällt stattdessen auf die Menschen, die hinter ihnen stehen. Über welche Themen reden sie, ohne dazu gedrängt zu werden? Bei welchen Positionen werden sie emotional? Ich vertraue Menschen und ehrlichen Emotionen – und bemerke dabei, wie selten beide im politischen Betrieb sichtbar werden.
Menschen und Emotionen sind es auch, die mich an meine eigene Partei, die Liberalen Demokraten, binden. Eine realistisch betrachtet winzige Partei, mindestens ein Sanierungsfall, für die meisten wohl bislang eher noch ein Abschreibungsobjekt. Menschen und Emotionen zu erklären, ist nicht einfach. Trotzdem will ich die Gründe für genau diese irrationale Zuneigung zu meiner Partei hier beleuchten.
1. Politik von Menschen für Menschen
Die stärksten Menschen, denen ich je begegnet bin, hatten eines gemeinsam: Sie waren sich ihrer Schwächen bewusst. Sie wussten, was sie schon wissen und was sie erfragen oder anderen überlassen sollten – und sie hatten keine Angst davor, beides zu benennen. In der Politik gibt es so etwas nicht. Kaum auszudenken, wenn in einer Talkshow jemand „Das weiß ich nicht.“ antworten würde. Wobei, eigentlich hören wir diese Antwort andauernd, denn hinter jedem „Lassen Sie mich zuerst …“, jedem Abschweifen, jeder leeren Phrase versteckt sich ein „das weiß ich nicht“ – nur ohne den Mut, das auszusprechen.
Umso stolzer bin ich darauf, Mitglied in einer Partei zu sein, die sich traut, Ahnung von wirklich verschwindend wenig zu haben. Wie sollten wir auch? Wie sollte eine Gruppe von weniger als 100 Menschen alle Bereiche einer immer komplexer werdenden Welt verstanden und durchdacht haben? Umso positiver nehme ich unsere Zuhörkultur wahr. Nicht nur untereinander, sondern gerade auch im Gespräch mit denen, die das, was wir hier versuchen, einmal am meisten betreffen soll: den Menschen vor Ort. Wir trauen uns, nachzufragen, zuzuhören, mal nicht zu werben. Vielleicht ist das parteistrategisch naiv. Aber es ist menschlich.
2. Mut zu radikaler Veränderung
Das zuvor erwähnte endlose Unwissen der Liberalen Demokraten soll allerdings nicht zu dem Trugschluss führen, das wir nicht wüssten, wovon wir reden und was wir wollen. Ganz im Gegenteil sind wir ohne die Ablenkung der ständigen Selbstinszenierung darin umso gefestigter. Wir sind getrieben von unserer Unzufriedenheit mit dem Status quo, den Zukunftsaussichten und dem Tempo unseres Landes.
Dass etwas heute ist, wie es ist, stellt für uns keinen Grund dar, es so zu belassen. Uns eint der Wunsch nach einem Land, das Armut bekämpft, das Wohlstand sichert, das bei Zukunftsthemen vorne mitspielt, das seinen Bewohner_innen die besten Rahmenbedingungen und Startchancen liefert und sie als verlässlicher Partner begleitet, wenn sie in einer Zeit der Umbrüche Unterstützung benötigen.
Dafür sind wir bereit, keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Gewachsenes zu hinterfragen, umzustellen, umzudenken. Auf keinen Fall ist alles Alte schlecht, auch die Liberalen Demokraten sind eine alte Partei. Eine gründliche Untersuchung müssen wir uns aber wie alles andere gefallen lassen. Wir geben uns nicht mit dem ersten Schritt zufrieden, sondern nehmen Anlauf für den großen Sprung.
3. Ehrliche Vehemenz
Politik ist ein hartes Geschäft. Geschrei, Empörung, Streit und Konflikt stehen praktisch immer irgendwo auf der Tagesordnung. Obwohl ich unsere parteiinternen Umgangsformen sehr schätze: In der Sache argumentieren auch wir hart.
Der Grund, warum ich das deutlich positiver wahrnehme als bei anderen Parteien, ist, dass Vehemenz und Ehrlichkeit für uns Hand in Hand gehen. Wir schreien aus ehrlichem Entsetzen über die Geschehnisse auf, nicht, um den größtmöglichen Effekt zu erhaschen und am lautesten gehört zu werden. Wir schimpfen und streiten nicht, um uns selbst mehr Redezeit zu verschaffen, sondern weil uns unsere Themen persönlich nahe gehen. Weil es uns nicht kaltlässt, wenn eine Regierung die Hoffnungen und Träume der Menschen um uns herum zum Spielball ihres aktuellen Wahlkampfes macht.
Wir gehen in die politische Auseinandersetzung mit der erforderlichen Härte und ehrlicher Vehemenz. Wir verzichten auf Polemik und Entmenschlichung. Wir machen uns angreifbar.
4. Haltung & Rückgrat
Die größte Idee und die flammendste Rede bringen nichts, wenn beide in der ersten Verhandlung mit den politischen Mitbewerbern zum Fenster herausfliegen. Wir sind sicher keine fundamentalistische; in meiner Wahrnehmung gegenteilig sogar eine sehr kompromissbereite Partei. Aber wir benennen klar, vorab, und dauerhaft, wo unsere roten Linien liegen.
Wir betreiben niemals einen Kuhhandel mit den Werten, für die wir überhaupt begonnen haben, uns politisch zu engagieren. Sie binden uns. Ohne sie braucht es unsere Partei nicht. Wir benennen klar: Überwachung, Stillstand und Korruption sind mit Liberalen Demokraten nicht zu beschließen, egal welches Amt und welche Mehrheit dagegen aufgewogen werden sollen. Wir werden alles tun, was Freiheit vermehrt und alles unterlassen, was sie einschränkt. Natürlich immer mit dem ganzheitlichen, sozialen Freiheitsverständnis, das unsere Partei ausmacht.