Von den politischen Entscheidungsträgern schon beim Entwerfen ihrer unzureichenden Maßnahmen regelrecht herbei gefürchtet, versammelten sich diesen Montag in Leipzig Demonstrierende beider politischer Ränder im Protest gegen steigende Preise. Dabei fehlrepräsentieren die Architekten dieser Aktionen die berechtigten und ernsten Sorgen der Menschen über einen entbehrungsreichen Winter und den Verlust von Arbeitsplätzen und sozialer Sicherheit als öffentlichen Schrei nach kurzsichtigem, wirkungslosem oder oft sogar gefährlichem Aktionismus.
Geradezu infantil ist die in diesen Kreisen verbreitete Forderung nach einer Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2. Der Glaube, dadurch würde mehr Gas nach Deutschland gelangen, ist über alle Maße naiv. Um zu erkennen, dass durch zwei Pipelines, die man permanent anlasslos für betriebsunfähig erklärt, genau so viel Gas wie durch eine fließt, genügt ein absolute Mindestbefähigung zu kritischem Denken.
Gleiches gilt für plumpe Forderung wie „Frieden! Jetzt!“ an die Regierenden – als säße die demokratische Weltgemeinschaft tatenlos vor der Verhandlungsoption, die den Frieden zurückbrächte, ohne sie zu ergreifen. Eine solche Parole kann sich nur zu eigen machen, wer nicht weiß, was Frieden bedeutet. Als Hitlers Deutschland halb Europa unterjochte, herrschte auch nach deren Kapitulation in den Staaten Westeuropas bis zur Landung alliierter Truppen mitnichten Frieden, denn Frieden und Unterdrückung, Frieden und Unfreiheit, Frieden und anhaltende Todesgefahr sind nicht miteinander in Einklang zu bringen.
Nun bedroht der Krieg in der Ukraine nicht nur den klassischen, dem diplomatischen Krieg entgegengesetzten, Frieden dort, sondern auch einen deutschen, nämlich den hiesigen sozialen Frieden. Das weckt in einigen den Ruf nach Verhandlungslösungen – und verkennt dabei, dass es solche Lösungen noch immer nicht gibt. Im imperialistischen Wahn des russischen Machthabers ist weiterhin keinerlei Raum für Friedensoptionen, bei denen bisher freie Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zu Putins rechtlosen Untertanen werden würden. Diese Feststellung muss – verbunden mit grundlegendem Respekt für das individuelle Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung – zum Schluss führen, dass es ganz allgemein zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei erreichbare Friedensoptionen gibt.
Wir müssen uns klarmachen: Der Frieden der Menschen in der Ukraine wiegt schwerer als unser eigener, sozialer Frieden, der, wie es den Anschein hat, für manchen heute näher und bedrohlicher gefährdet wirkt. Denn dort geht es nicht um politische und ökonomische Meinungen, Forderungen, oder Sorgen – es geht um das Recht, sie weiterhin äußern zu dürfen. Zumal der soziale Frieden, der hier in Gefahr ist, tatsächlich einer ist, den wir mit Maßnahmen im Rahmen unserer eigenen Demokratie bewahren können. Ihn zu erhalten, erfordert Verhandlungen mit uns selbst und mit unseren Partnern, nicht mit Russland.
Keinesfalls sollte oder müsste der Westen oder die Ukraine Verhandlungen im Ukrainekrieg generell und für alle Zeit ausschließen, denn schlussendlich, zu einem späteren Zeitpunkt, kann dieser Krieg nur in ihnen enden. Es ist aber müßig, sie zu führen oder zu fordern, solange es keine Grundlage für eine Hoffnung darauf, dass Putins Regime – und bisweilen ist liegt dort die Entscheidung, nicht bei „Russland“ oder „den Russen“ – zu einem echten Frieden für die Ukrainerinnen und Ukrainern bereit wäre, gäbe.
Das Einzige, was ihn absehbar dazu bewegen könnte, sind weitreichende militärische Erfolge der Ukraine, die ganz nebenbei auch den Menschen, die schon heute unter dem Joch seiner Besatzung leben, ihren Frieden zurückbrächten. Ermöglicht werden diese insbesondere durch die Bereitstellung westlicher Waffen, was auch über die Fortsetzung und Ausweitung dieser Praxis im Sinne eines baldigen Friedens nur einen Schluss zulassen kann, so schmerzhaft und schwer akzeptierbar diese Erkenntnis für viele, die in einer anderen Weltlage politisiert worden sind, ist.
Paul Vossiek
Generalsekretär
Paul studiert Technische Informatik an der RWTH in Aachen. Im Fokus seiner politischen Arbeit stehen Energie, Digitalisierung und Transparenz.
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